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dinsdag 6 mei 2014

"Ich mache alles falsch"




...ganz oft sind das die ersten Worte von Kunden die zu mir kommen, wenn irgendetwas nicht klappt.
Im Dezember letzten Jahres bekam ich einen Anruf von einer Dame aus einer Großstadt in den Niederlanden die ihren Hund für ein paar Monate bei uns unterbringen wollte. Es ging um einen kleinen Hund, und er trieb sie buchstäblich in den Wahnsinn. Er attackierte Menschen und Hunde auf der Strasse, erzählte sie. Er attackierte Menschen die es wagten in den Fahrstuhl zu steigen wenn sie sich mit ihm darin befand – und da sie im vierten Stockwerk wohnt, passierte das mehrmals am Tag. Besuch empfangen ging auch nicht mehr. In öffentlichen Verkehrsmitteln, auf die sie angewiesen ist, wurde er hysterisch wenn jemand in ihre Nähe kam. Die Dame war überfordert und nervlich am Ende. Wir vereinbarten, dass der Hund zu uns kommt, bis sie sich soweit erholt hat, dass ein Neuanfang gemacht werden kann.

Als ich den Hund abholte und mit ihm durch volle und laute Strassen zum Auto lief viel mir auf, dass er fröhlich aufgeregt war und mit hoch erhobener Rute alles markieren wollte was in sein Blickfeld kam.
Bei uns stellte sich heraus, dass er ein fröhlicher, schnell aufgeregter und dann auch sehr bellfreudiger Hund ist, der aber ganz schnell begriff, dass wir leise besser finden. Grundsätzlich fand er alle Menschen und Hunde toll. Ein freundlicher kleiner Clown, mit Hang nach Hysterie.

Die kleine Maus hat 4 Monate bei uns gewohnt. Ich habe in der Zeit nicht mit ihm gearbeitet, da ich überzeugt bin davon, dass das mir vielleicht was bringt, aber dem Kunden gar nichts.
Letzte Woche war es dann so weit: er konnte wieder nach Hause. Mit der Kundin hatte ich vereinbart, dass wir gleichzeitig eine Trainingsstunde machen. Am Telefon wirkte sie unglaublich unsicher, sprach immer wieder ihre Zweifel aus ob sie das mit diesem Hund schaffen würde – sie hätte ja bis jetzt alles falsch gemacht. Bei ihr angekommen, schickten wir nach der ersten Begrüßungsfreude den Hund erstmal in sein Körbchen für ein Nickerchen. Vorher hatte ich darum gebeten, kein Spielzeug, Kauknochen usw herumliegen zu lassen, da dieser Hund sich schnell von Reizen aufregen lässt und schwer aus sich selbst in die Ruhe findet.
Die Kundin erzählte dann, dass sie zwei Hundetrainerinnen hatte, die festgestellt haben, dass der Hund sehr unsicher ist und viel Stress hat. Sie arbeiteten nach der Methode von Turid Rugaas, einer norwegischen Hundetrainerin die sich sehr lange mit der Kommunikation unter Hunden beschäftigt hat und herausfand, dass unter Hunden sogenannte Beschwichtigungssignale eingesetzt werden um Konflikten aus dem Weg zu gehen und Stress abzubauen.
Beschwichtigungssignale („Calming Signals“) können nach Rugaas zB sein: gähnen, schnüffeln, mit der Zunge über die Nase lecken, im Bogen gehen, sich abwenden, hinsetzen/hinlegen, strecken, Pfote heben und noch so einiges mehr.

Bei Wikipedia findet man einige Informationen über diese Theorie, unter anderem folgende Kritik: “Zahlreiche Wissenschaftler und Hundeexperten weisen darauf hin, dass die Interpretation der beschriebenen Verhaltensweisen als Beschwichtigungssignale nicht immer richtig ist und gefährliche Konsequenzen haben kann. Weidt/Berlowitz deuten viele dieser Verhaltensweisen als Signale innerer Konflikte und bezeichnen sie als Konfliktreaktionen. Sie weisen darauf hin, dass es sich um unwillkürliche Reaktionen handelt, die keine zielgerichteten Kommunikationssignale sind. In einer Diplomarbeit im Rahmen der Untersuchung frei lebender Haushunde in Italien wurde nachgewiesen, dass die als Beschwichtigungssignale bezeichneten Verhaltensweisen nicht den Charakter gezielter kommunikativer Gesten haben. An der Arbeit beteiligte Wissenschaftler bezeichnen den Umgang mit dem Konzept der Beschwichtigungssignale in Deutschland als „Beschwichtigungswahn“.“.

Meine Kundin hat 8 lange Monate nach dieser Methode mit ihrem Hund gearbeitet. Ihr wurde gesagt, der Hund könnte gar nichts lernen, weil er zu viel Stress hat. Also müsste erst der Stress abgebaut werden. Sie hat genauestens darauf geachtet, ob der Hund irgendein Beschwichtigungssignal zeigt – dafür belohnt man ihn dann. Sie musste – nicht nur mitten in der Großstadt, sondern in einer touristischen Hochburg – allem was ihm Stress macht aus dem Weg gehen. In diesen 8 Monaten hatte sich sein Verhalten nicht nur verschlechtert, es war doppelt so schlimm geworden. Beide waren tatsächlich im Beschwichtigungswahn und konnten schlussendlich nicht mehr normal funktionieren.

Wir haben angefangen mit der Türklingel. Die Damen der Beschwichtigung würden sich, wenn sie nicht mehr leben würden, im Grabe umdrehen, denn wir haben jeden Ansatz zur Tür zu stürmen beim Geräusch der Klingel beantwortet mit dem Wurf eines Schlüsselbundes gegen die Tür – um ihm dann die Lösung anzubieten sich in sein Körbchen zu verziehen und Mama alles weitere regeln zu lassen. Wir haben ihm also Stress bereitet wenn er territorial motiviert ausrasten wollte und ihm gezeigt, dass es einen Ort und ein Verhalten gibt wo er in Ruhe gucken kann was da so alles abläuft. Dann sind wir raus und haben uns auf einer Terrasse niedergelassen um Kaffee zu trinken. Der kleine Mann wurde unterm Stuhl seiner Besitzerin ins Platz gelegt und wenn er aufstand wurde er ganz beiläufig aber mit Nachdruck wieder hingelegt. Hunde kamen vorbei, Menschen kamen an den Tisch, er blieb liegen. Meine Kundin genoss den Moment – und die Voraussicht, zukünftig morgens entspannt mit Hund auf einer Terrasse sitzen zu können. Wir haben besprochen welche Position am Besten wäre wenn sie auf der Strasse angesprochen wird (hinter ihr im Sitz) und haben das dann auch im Fahrstuhl geübt. Ein grosser, fremder Mann erklärte sich bereit sein Leben zu wagen, stieg zu Frau mit Hund in den Fahrstuhl und kam nach einer Runde hoch und runter wieder heraus mit den Worten „ich habe überlebt“ :-). Wir haben über die Unterschiede zwischen Angst und Demutsverhalten gesprochen und wie man das am Hund sehen kann. Und wir haben besprochen, wie es weitergehen soll. Wie sie ihm die Struktur geben kann die er selber nicht anbringen kann, wie sie ihm die Sicherheit gibt, dass sie regelt was zu regeln ist und ihm deutlich macht, dass er darin keine Rolle spielt.

Meine Kundin ist eine intelligente, kompetente Frau mit viel Lebenserfahrung. Sie sagte mir, dass sie genau weiß, und immer wusste, dass es nicht ok ist, wenn jemand nur nach einer Methode arbeitet, egal ob es um Menschen oder um Hunde geht. Sie konnte es irgendwie nicht von sich selbst glauben, so lange etwas gemacht zu haben was nicht gut war. Aber so geht das, wenn man sich hilflos fühlt und Hilfe sucht. Jede Hilfe ist willkommen, man wendet sich schließlich an Profis und die arbeiten dann auch noch mit einer „wissenschaftlichen Methode“ – da bleibt nur der stetig wachsende Zweifel an der eigenen Kompetenz. Bis zur Verzweiflung, bis zum Burn-Out. Für den man dann auch noch gutes Geld gezahlt hat.

Gestern haben wir telefoniert. Meine Kundin hat schon verschiedene öffentliche Verkehrsmittel „durch“ – kein Problem mit Hundi unter ihrem Sitz. Auch die anderen Alltagssituationen gehen gut – er fragt ab und zu noch mal nach und das Recht hat er auch denn er hat das ganz lange so gemacht - sie unterbricht freundlich aber nachdrücklich seine Ansätze zu agieren und er akzeptiert das.

Meine Kundin kann es beinah nicht glauben. Ich finde es beinah peinlich. Das einzige was ich gemacht habe ist, sie von Büchern, einer Methode, einer Theorie,  einer Indoktrinierung  wegzuführen, zurück zu ihrem eigenen Bauchgefühl, zu ihrer Kompetenz, die die ganze Zeit schon da war. Zurück zur Normalität im Umgang mit ihrem Hund, der ganz normal, wenn auch ein wenig affektlabil ist.

Leider passiert mir das immer öfter. Und ruft in mir die Frage auf: bin ich dafür Hundetrainer geworden? Will ich eigentlich noch so heissen?

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