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woensdag 26 december 2012

Canis - Liebeserklärung

"Das Versprechen erneuern" ist vor allem in den USA eine Tradition. Nach einer gewissen Zeit der Ehegemeinschaft schaut man zurück, auf das gemeinsame Leben, auf die Beziehung und derer Entwicklung, und gibt sich aufs Neue das Ja-Wort.

Ich bin nicht mit Canis verheiratet. Aber ich liebe Canis und die Menschen die dazu gehören. Mein erstes Seminar bei Canis, die (damals noch 9-tätige) "Praktische Woche", fand statt in 2003. 4 Jahre später, in 2007, kurz vor der Abschlussprüfung, habe ich dann endlich das Pflichtprotokoll geschrieben. Es wurde eine Liebeserklärung. Heute, noch einmal 5 Jahre später, habe ich es wieder gelesen. Ich möchte es teilen, mit allen Menschen die sich dafür interessieren was Canis bedeutet und wie bei Canis gearbeitet wird. Ich möchte das Versprechen erneuern. Es ist lang - weil es so viel gibt das mich beeindruckt hat, gerührt hat, geprägt hat. Ich bin so dankbar dafür.

 

Protokoll

 “Praktische Woche”

  01.05.2003 – 09.05.2003

   
Marian Lamp

Hülmer Deich 98

47574 Goch

Einführung

Ein Protokoll eines Praktikums 4 Jahre später schreiben – ist das schlau? Vielleicht weniger. Erst einmal dieses Suchen nach den Aufzeichnungen. Der Angstschweiss bei der Vorstellung sie vielleicht garnicht mehr zu finden - vier Jahre, ein Umzug und mein ewiges Chaos?

Dann: gefunden – und schneller als ich dachte. Irgendwann eine Ordnungsphase durchlebt, befürchte ich.

Beim Lesen meiner Aufzeichnungen kommen mir die Tränen. Und weiss ich: dies ist genau der richtige Moment dieses Protokoll zu schreiben. So hat alles angefangen; beim Anfang der praktischen Woche wusste ich noch nicht einmal dass es ein CANIS-Studium gab und jetzt nähere ich mich dem Ende des Studiums. Alles wird rund...

Ich schreibe ein Erfahrungsprotokoll und folge meinen Aufzeichnungen. Was wir genau gemacht, besprochen haben, finde ich nicht so wichtig als meine Gedanken und Gefühle dazu.

Die Schellen die mir von den Augen gefallen sind und immer wieder die Erleichterung die ich fühlte. Die Last, die ich fühlte im Zusammenleben mit meinen Hunden und die sich veränderte in Leichtigkeit – aber nie in Oberflächlichkeit, im Gegenteil.

Im Folgenden werde ich pro Tag beschreiben, was gemacht und welche Themen behandelt wurden und dabei die Sachen benennen, die mich beeindruckt haben – denn die habe ich aufgeschrieben.

Abschliessend beschreibe ich was ich in der praktischen Woche gelernt habe und welche Veränderungen ich am Ende dieser 9 Tage an meinen Hunden wahrgenommen habe – und die Sachen die ich nie vergessen werde...

1. Tag
Ca. 25 Menschen mit noch mehr Hunden in einem Raum. Wenn das man gut geht...

Viele Hunde sind unruhig, meine auch. Vor allem Scotty piepst wenn er sich langweilt. Jeder Teilnehmer und die Seminarleitung (Nadin und Michael) stellt sich vor. Alle Teilnehmer erzählen warum sie dieses Praktikum machen, was sie für Hunde haben, was sie von diesem Praktikum erwarten.

Alles überschattend ist die Krankheit und der sich näherende Tod von Erik Ziemen. Ich hatte mich eigentlich für dieses Praktikum angemeldet weil er es leiten sollte. Erst kurze Zeit vorher erfuhr ich dass er krank war. Zu Beginn der praktischen Woche hiess es noch, Erik würde im Laufe der Woche doch kommen, wenn auch nur kurz. Leider war sein Zustand dann aber schon zu schlecht. Nadin, Michael und Bettina fahren regelmässig zu Erik. Sind hier und dort gleichzeitig. Sind voll für uns da, trotz aller Trauer. Chapeau.

Die Regeln werden besprochen. Mit dem Aufräumen des Hundekots und dergleichen kann ich gut leben. Dann aber: Die Hunde im Raum bitte nicht anfassen und nicht mit ihnen sprechen. Draussen bitte nicht füttern, d.h. keine Leckerlis.

Hilfe! Ich tue nichts anderes als Scotty zu streicheln, um ihn vom Fiepen und Piepsen  abzuhalten! Und Lucy stellt sich immer aufrecht gegen mich und kratzt mit der Pfote in meinem Gesicht, wenn sie sich langweilt. Wie soll denn das gehen? Ich werds abwarten, mal sehen wie es läuft.

Die von Michael und Nadin aufgeworfene Frage „wo bleibt der Spass“, taucht an diesem Tag zum ersten Mal auf und wird sich zu einem Motto dieser praktischen Woche entwickeln...

2. Tag
An diesem Tag wird vor allem vorgetragen und finden keine praktischen Übungen statt. Das Thema ist „Erziehungskrise“, zwischendurch wird spazierengegangen. Die historische Entwicklung der Hundehaltung von Nutztier zum sozialen Partner wird besprochen. Als Beispiele werden Familienhunde und Hunde von älteren Menschen genannt, wobei für die letzteren der Hund einen sehr hohen therapeutischen Wert hat. Das Sich-einfügen als hochwertiger Sozialpartner in unsere sozialen Strukturen inklusive aller Erwartungen die dieses mit sich bringt, fragt vom Hund ein enormes Anpassungsvermögen.

Aus dem hohen emotionalen Stellenwert des Hundes in unserer Gesellschaft folgt z. B. die enorme und immer noch wachsende Industrie rundum das Thema „Zentralbespassung“. Ebenfalls werden Hunde nicht begrenzt und wird ihr (störendes) Verhalten entschuldigt, zum Beispiel damit dass der Hund früher mishandelt wurde. Hunde fallen dadurch öfter als in früheren Zeiten negativ auf und man bekommt den Eindruck dass es immer mehr Hunde gibt. Nichts ist weniger wahr: vor dem ersten Weltkrieg gab es in Deutschland mehr Hunde als jetzt.

Als Beispiel werden Hunde aufgeführt aus Rumänien, denen manchmal ein Teil von einem Ohr fehlt. Dort ist aber das Koupieren von einem Ohr ein Zeichen dass der Hund jemand gehört. Und diese Hunde werden oftmals von Tierschützern eingefangen und landen dann als ‚misshandelte Hunde’ in deutschen Tierheimen...

Begrenzung des Hundes ist Voraussetzung  dafür, dass dem Hund die grösst mögliche Freiheit gewährt werden kann. Soziales Management, versus Tricks anlernen. Die Ursache vieler Probleme die Menschen mit ihren Hunden haben ist, dass der Mensch verlernt hat unmittelbar zu handeln, ohne erst drei Bücher gelesen zu haben. Dieses Thema kommt später, am 5. Tag, wieder zurück.

Die grössten Probleme mit Hunden liegen im Bereich der Aggressionen und des Jagens. Dies könnte man vergleichen mit Gewalt und Diebstahl bei Jugendlichen.

Angst vor Aggressionen bestimmt und beschränkt das Leben von Menschen mit einem aggresiven Hund enorm. Beim Spazierengehen, in sozialen Kontakten, in ihrer Tageseinteilung. Manchmal 15 Jahre lang, der Dauer des Hundelebens.

Immer wieder wird der Nachdruck gelegt auf die soziale Erziehung versus dem formalen Anlernen von Sachen wie Sitz, Platz usw. und auf die Notwendigkeit der Begrenzung. Dem Hund etwas anlernen ist etwas anderes als das Gehorsamen des Hundes nach dem Lernen.

Über Hundebücher: es gibt keine Wahrheit. Kein Mensch gleicht dem Anderen und jeder muss sein eigenes Buch schreiben.

Über das Festhalten an Belohnen nach dem Anlernen: ist unnötig und sagt dem Hund etwas aus über unsere Beziehung. Der Vergleich wird gezogen mit einem 10-jährigen Kind das den Tisch deckt – da gerät man auch nicht völlig aus dem Häuschen, es ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Oftmals wird auch gesagt: Menschen würden auch nicht arbeiten ohne Belohnung. Ich habe das auch immer geglaubt. Nur: bin ich der Arbeitgeber meiner Hunde? Oder wäre der Vergleich mit Mutter und/oder Lehrerin besser? Ich habe keine Fabrik, ich habe eine Familie...

Wir bekommen eine Hausarbeit: den Hund mal weniger beachten. Oft verändert sich schon etwas dadurch, dass man Sachen nicht macht. In der übrigen Zeit sollen wir dem Hund mehr Aufmerksamkeit geben, gerade wenn er nicht darum fragt. Ich bin gespannt...

Über Willekür und die so oft geforderte Konsequenz in der Hundeerziehung, die mir so schwer fällt: Unter Hunden ist Willekür normal und wird eingesetzt um Rangordnungsverhältnisse zu klären. Hund braucht keinen Grund um etwas zu machen oder zu beanspruchen, man macht es schlicht und einfach „weil man es machen kann“.

Über Separationsfrustration versus Separationsangst: Hunde mit Separationsangst kommen meist nicht in die Praxis – sie leiden in aller Stille, aber leiden echt. Die Hunde die nicht gelernt haben Frustration zu vertragen, machen Lärm und machen Sachen kaputt.

Über Tierheimhunde heute: Das sind hauptsächlich sozial nicht-erzogene Hunde zwischen 3 und 7 Jahren alt.

3. Tag
Das heutige Thema ist „Leinenführigkeit“. Dieser Begriff ist für mich, als Holländerin, von einer gewissen Geheimsinnigkeit umgeben. Ich kann ihn nicht wörtlich übersetzen, denn er fehlt im Holländischen Wortschatz, also kann ich nur ahnen was gemeint ist – aber denke mir gleichzeitig, dass ja was völlig anderes gemeint sein könnte. Besser nicht fragen und einfach abwarten, bevor man ausgelacht wird?

Wir beginnen wieder mit Theorie, die immer wieder so lebendig, unterhaltend und anschaulich präsentiert wird, dass ich total nicht den Eindruck habe mit Theorie zu tun zu haben.

(Für mich) wichtige Punkte sind:

  • Der individuelle Hund bestimmt die Wahl und die Intensität des Handelns des Halters.
  • Sozialverhalten ist nicht nur freundlich und nett. Das Totbeissen eines anderen Hundes kann auch Sozialverhalten sein.
  • Leinenführigkeit bedeutet, dass der Hund sich permanent an seinem Halter orientiert (jetzt bin ich noch nicht schlauer!). 
  • Spielen mit dem Hund und Leckerlis geben hat nichts mit Bindung zu tun. Futter ist außerdem oftmals ein zu schwacher Motivator. Als Beispiel wird ein 1 ½ jähriger Rüde genannt, der andere Sachen viel interessanter findet. 
  • Konditionierung ist kein soziales Lernen. 
  • „Sanfte“ bestrafende Methoden können eine viel intensivere Auswirkung haben als eine einmalige, deutliche Unterbrechung die vom Menschen kommt (als Beispiel wird die psychisch sehr belastende Auswirkung der „Schelle“ – (Fisher-Disks) genannt).
  • Beim Ignorieren von Verhalten werden verstärkende Muster (positiv und negativ), weggelassen. Das Problemverhalten, wie z.B. Bellen, wird dann erst grösser, bevor es abnimmt. Problematisch wird es, wenn man Verhalten ignoriert, bei dem es dem Hund egal ist was ich davon finde.
  • Falsche Verknüpfungen, die z.B entstehen können beim Einsatz vom Stachelhalsband bei Leinenaggression, verstärken das Problem.
  • Der Hund darf Fragen stellen! Zum Beispiel die Frage ob heute noch gilt was gestern gesagt ist.
  • Beim praktischen Teil dieses Tages wird mir endlich deutlich was man unter Leinenführigkeit versteht. Ich kopiere Michael einmal mit meinen beiden Hunden und bin begeistert. Wow. Neben mir tänzeln zwei Podencos und gucken ganz viel hoch und fragen mich wo ich hin möchte. Ich muss mich anstrengen nicht dauernd zurückzugucken - einander die ganze Zeit anstarren, wie ich in der früheren Hundeschule gelernt hatte, ist erstens unangenehm für beide, zweitens sinnlos und drittens sehr unpraktisch im täglichen Leben.

Tag 4
Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Spaziergang und einer Fragenstunde. Die Leinenführigkeit wird weiter besprochen und erklärt. Die Frage der Motivation (wer ist motiviert) macht mir schlagartig klar warum meine Hunde bis jetzt nicht leinenführig waren – ich war die Einzige die ein Problem damit hatte und motiviert war das Problem zu lösen! Auch die Erklärung des Problem-Lösungskonzepts leuchtet mir ein: der Hund bekommt ein Problem und findet gleich auch die Lösung: zusammen laufen wir entspannt und in guter Stimmung und es ist toll bei mir zu sein.

Nachmittags arbeiten wir am Sitz und Platz. Wieder wird der Nachdruck gelegt auf die Unterschiede zwischen Anlernen und Abfordern. Rassetypische Unterschiede im Lernverhalten werden besprochen und ebenfalls lerntheoretische Regeln. Das häusliche Programm, vor allem die Reduzierung der Wichtigkeit des Hundes bevor man mit einem Training beginnt, wird besprochen.

Abends, zurück auf dem Campingplatz, übe ich nochmal mit beiden Hunden. Ganz schnell schiessen beide jetzt ins Platz und sowohl die Hunde als ich sind sehr beeindruckt. Und glücklich. So harmonisch waren wir noch nie zusammen, das haben alle Leckerlis und Quitschis und mit-hoher-Stimme-zirzen nicht geschafft...

Tag 5
Dieser Tag ist dem Thema ‚soziales Management’ gewidmet. Vormittags wird die Kommunikation Mensch-Hund besprochen. Watzlawicks Kommunikationsregeln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kommunikation und die daraus entstehenden Störungen werden erklärt.

Worum geht es bei sozialem Management: wiederum nicht ums anlernen, um Konditionieren und Trainieren, sondern um die Situationen in denen der Hund, der das gefragte bereits gelernt hat, sich weigert es zu tun.  Alle Teilnehmer waren schon in der Hundeschule, manche in vielen, manche schon jahrelang. Jahre, in denen trainiert wurde. Es gab keinen einzigen Hund der nicht formal gelernt hatte was Sitz, Platz und Fuss bedeutete. Beinah keiner hat es aber gemacht, wenn er freundlich dazu aufgefordert wurde. Verweigerung etwas gelerntem ist eine Frage die der Hund stellt, über die sozialen Verhältnisse: kann ich mir erlauben etwas nicht zu tun, wenn du es sagst? Wichtig beim Handeln ist die Verhältnismässigkeit. Die Reaktion des Hundes bestimmt unsere Reaktion. Angst vor Liebesverlust spielt oft eine grosse Rolle, wenn nicht gehandelt wird. Handlungsfreiheit fehlt, ausser dem geben von Leckerlis darf man nichts mehr am Hund machen und das unmittelbare, ‚aus dem Bauch hinaus’ Handeln haben wir verlernt. Wir haben andauernd Angst etwas falsch zu machen.

Die Funktion von Konflikten wird erklärt: es geht nicht um das Ziehen an der Leine oder darum, dass der Hund sich hinlegt sondern um den Konflikt den der Hund angeht. Diesen Konflikt kann man benutzen um Beziehungsfragen zu klären – was nicht geht wenn man dem Konflikt immer aus dem Wege geht.

Draussen wird wieder geübt: eine Picknicksituation mit Wurst, wobei ich den Hund davon abhalten soll die Wurst zu nehmen oder die picknickenden Menschen zu stören, ohne dass ich gezwungen bin selbst mit Taschen voll Fleischwurst spazieren zu gehen. Das letztere war nicht so schwierig -  für eine Podenca die sich unangeleint im Bayrischen Wald befindet – aber sogar Labradore lernten ganz schnell, dass man sich auch mal zusammenreißen kann und die Welt trotzdem nicht vergeht.

Tag 6
Am Vormittag wird weiter über Kommunikation gesprochen und werden Anwendungen / Praxis des sozialen Managements Zuhause erklärt. Nachmittags wird die Orientierung im Freilauf und das Unterbrechen von unerwünschtem Verhalten geübt. Erklärt und demonstriert wird ausserdem das Eintrainieren und der Gebrauch von den Fisher-Disks und dem Master Plus Gerät.

Tag 7
Am Vormittag wird das Unterbrechen von ungewünschtem Verhalten erklärt und demonstriert mit Videoaufnahmen. Der Nachmittag handelt über Jagen/Spielen. Dabei werden die Jagdsequenzen erklärt, wird eingegangen auf Rassenunterschiede und werden Hilfsmittel besprochen. Ein Stromgerät** wird demonstriert und erklärt, weil die Realität eines Hundetrainers bedeutet, dass man damit, oder mit Fragen darüber, konfrontiert wird. Wer will kann es auf sich selbst ausprobieren.

Merkwürdigerweise habe ich von diesem Tag beinah nichts aufgezeichnet – obwohl dieses Thema mir, mit meinem extrem jagenden Hund, doch sehr nahe am Herzen gelegen haben muss. Vielleicht war ich ja aber noch nicht in der Lage etwas zu ändern und wollte ich mich darum nicht so intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen?

Auch in dieser Beziehung nehme ich wieder den Hut ab vor Nadin und Michael, die mir total nichts aufdrängten im Sinne von „da müsste man doch mal was dran tun“ und stoïsch dabei blieben ich hätte einen tollen Hund!

Tag 8
Das Tagesthema ist Aggression und Spiel. Am Vormittag sind wir im Tierpark. Besprochen wird, im Anschluss an den gestrigen Tag, das Spiel in Kombination mit Jagen und Aggression. Auch wird über Welpenerziehung gesprochen, konret über genetisch bestimmte Verhaltensweisen, die nicht gefördert sondern eher gehemmt werden sollten.

Am Nachmittag ist das Thema Gebrauchshunde. Dabei bekommt der Bordercollie viel Aufmerksamkeit. Die Art einer sinnvollen Beschäftigung ist wichtig. Agility kann diese Hunde super neurotisch machen, vor allem wenn der Ball als Motivator benutzt wird – jeder Bewegungsreiz ist kontraproduktiv bei diesen Hunden. Futter ist schon besser. Doggydancing ist besser als Agility. Sucharbeit, spazierengehen, ruhige Beschäftigungsformen werden angeraten. Border Collies arbeiten nicht den ganzen Tag, auch nicht wenn sie an Schafen arbeiten. Erst müssen sie lernen Frustration zu vertragen. Wenn so ein Hund gelernt hat um entspannt zu sein während der Reiz (zB Schafe) anwesend ist, kann man mit ihm arbeiten. Aktionsspiele sind bei diesen Rassen oftmals ebenfalls kontraproduktiv. Den Hund nicht hochfahren – denn man hat die grösste Mühe ihn wieder herunterzufahren. Konzentrationsübungen und Suchspiele oder Nasenarbeit sind hier sinnvoller.

Alle Gebrauchshunde sind gezüchtet auf einen hohen Beutetrieb, um den Hund schneller und alerter zu machen. Das sorgt für viele Probleme wenn diese Hunde in unserem sozialen Umfeld mit uns zusammenleben. Ein kleiner Reiz kann ausreichen um ‚den Knopf umzudrehen’: Das Baby wird zur Beute. Ballspiel und Spiele mit Stöcken sind immer beutemotiviert. Tötliche Unfälle, wobei Kinder von Hunden angegriffen werden, sind in der Regel beutemotiviert und beinah nie statusmotiviert. Unreflektiertes Ballspiel ist darum gefährlich.

Oft wird aus Zeitmangel der Ball geworfen, weil der Hund dann ‚schön müde ist’. Diesen Menschen wird geraten: lauf lieber drei Stunden mit dienem Hund oder schaff dir keinen Hund an wenn du nicht mit ihm laufen willst.

Schliesslich gibt es auch noch eine Clickerdemonstration, wobei wieder der Nachdruck darauf liegt, dass der Clicker dazu da ist um dem Hund etwas beizubringen, die Erziehung aber an erster Stelle kommen muss.

Tag 9
Das Begräbnis der Quitschi als Symbol der Zentralbespassung. Der Rückblick auf das Praktikum – haben sich die Erwartungen erfüllt?

Was habe ich gelernt – was hat sich verändert:

  • Die wichtigste Veränderung die sich in meinem Denken vollzogen hat, ist dass ich eine Hemmschwelle überwunden habe, die verhinderte dass ich etwas von meinem Hund abfordern konnte. Vor allem von Lucy, der „armen Spanierin die ja so sensibel ist“, hatte ich noch nie etwas eingefordert oder sie einfach nur begrenzt. Sie sollte es ja gut haben bei mir! Das Resultat davon war: ein frustrierter Mensch und einen Hund den man nirgends ableinen kann. Für einen Podenco nicht gerade ein tolles Leben. Mit der Überwindung dieser Schwelle erfuhr ich eine enorme Erleichterung. Es ist OK wenn ich ihr Grenzen stelle und – sehr wichtig – ich (meine Bedürfnisse) zähle auch!
  •  Ich stelle fest dass ich auch noch Vieles sein lassen muss. Zum Beispiel die Zentralbespassung. Wieder eine Frage der Verantwortung: ich bin nicht verantwortlich oder angestellt um meine Hunde zu bespassen. Noch abgesehen davon: meine Hunde fragen nicht danach bespasst zu werden. Das einzige was ich damit mache ist, mein Gewissen beruhigen. Zum Beispiel weil ich eigentlich finde, dass gerade so ein lauffreudiger Hund wie ein Podenco sein Leben nicht ausschliesslich an der Leine führen sollte. Wie soll sie aber jemals auf mich hören wenn für sie Wichtiges unseren Weg kreuzt, sie aber in ganz einfachen Situationen nicht gelernt hat, dass Muttern meint was sie sagt?
  • Die andere Seite muss es auch geben, den entspannten Kontakt, streicheln, kuscheln usw. Je klarer die Grenzen sind, je besser die Stimmung in der wir zusammen sind, je größer die Freiheit die ich meinen Hunden geben kann. Gute Stimmung und viel Freiheit sind das größte Geschenk, in jeder Beziehung, in jeder Partnerschaft.
  • Ich habe mehr Selbstvertrauen im Umgang mit meinen Hunden, aber auch mehr Vertrauen in meine Hunde.
  • Ich habe weniger dass Gefühl dass nur meine Hunde Spass haben müssen, dafür mehr das Gefühl dass wir Spass haben sollen.
  • Ich stehe nicht mehr so oft hilflos da, wenn meine Hunde etwas tun was ich nicht möchte, oder nicht tun was ich möchte – ich bin handlungsfähiger geworden.
  • Ich habe nicht mehr die Angst, dass die Hunde mich nicht mehr lieben, wenn ich sie begrenze.
  • Ich kann mit Lucy an der Leine laufen ohne mich schuldig zu fühlen – ich habe einen Ausblick bekommen und weiß nun, dass es einen Weg gibt um ihr mehr Freiheit geben zu können. Lucy anleinen ist etwas geworden, das JETZT noch nötig ist und nicht etwas, das ihr Leben lang so bleiben muss.
  • Was mir sehr geholfen hat und ein Eyeopener für mich war, ist der ständige Vergleich von Hunden (Hundeerziehung) mit Kindern (Kindererziehung).
  • Weiterhin hat mir sehr geholfen, dass Nadin und Michael so oft „toller Hund“ gesagt haben zu meinem „Problemfall“. Das hat viel Druck weggenommen und hat mir geholfen die andere Seite zu sehen, statt das Verhalten meiner Hunde nur zu verteidigen und zu entschuldigen. Es hat wieder Liebe in unsere Beziehung gebracht.
  • Nadin und Michael waren (und sind) für mich die grossen Vorbilder wie man mit Menschen und ihren Hunden umgeht.
Bei den Hunden hat sich einiges im Laufe des Praktikums verändert:
  • Scotty fiept und piepst nicht mehr, wenn ich ihn irgendwo anbinde
  • Lucy stellt sich nicht mehr gegen mich und kratzt
  • Beide machen Platz wenn ich es sage
  • Scotty fragt nachdrücklich ob er echt gehen darf wenn ich ihn ableine, oder ob er etwas echt   fressen darf
  • Lucy ist nicht länger als 10 Minuten weggewesen (das hat sich zwar wieder gegeben, zeigte mir aber, dass sich etwas ändern kann!)
  • Lucy hat, wenn ich sie angebunden habe, die Leine nicht mehr durchgebissen
  • Es ist mehr Ruhe und Entspannung in die Hunde gekommen
  • Scotty bellt nicht mehr mit anderen Hunden mit, wenn er im Platz liegt
  • Beide sind leinenführig.
Was ich nie vergessen werde:
  • Der Spass und die gefühlte Verbundenheit
  • Das rituale Begräbnis der Quitschi als Symbol der Zentralbespassung und der kommerziellen Ausbeutung des Hundes
  • Die meistgestellte Frage: „ist Lucy da?“
  • Das Essen im Bärenhof
  • Die Ruhe der Hunde im Seminarraum – sie wurden einfach mal in Ruhe gelassen und das reichte, um auch mal die Ruhe zu finden
  • Die unglaubliche Toleranz und Sorgfalt von Michael und Nadin für Hunde UND Menschen, der Blick für das Individuum jedes Hundes. Als Beispiel blieb mir bei, dass in einer Situation in der ein Spaziergänger auf die Gruppe zu kam, Michael meinte, kein Hund sollte bellen. Nur der Herdenschutzhund, der durfte.
  • Der letzte Tag, an dem die Canisstudenten zu mir kamen und sagten: „wir haben beschlossen dass du Canis-Studentin werden musst“
  • Die anschliessende Wanderung im Böhmerwald mit Michael Eichhorn, mit Lucy immer auf geschätzten 2 km Abstand deutlich hörbar hinter allem was lebt herhetzend
  • Die anschliessenden Tage mit Michael Eichhorn, Ray Coppinger und Peter Neville
  • Der Moment an dem der Anruf kam dass Erik Ziemen gestorben ist – genau in dem Moment, an dem wir die gerade ausgegrabenen Wolfswelpen im Gehege streichelten...
  • Die Trauer, dass ich Erik nie kennenlernen durfte.
Marian Lamp
 Juni 2007

**Anmerkung: im Protokoll steht ein Stück über Strombänder. Um Zweifel auszuschliessen:wir haben Methoden, die es gibt, kennengelernt. Strom ist etwas das jeder Hundetrainer kennen muss - und wenn es nur dazu dient dagegen argumentieren zu können!!

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